Fall des Monats
Stocken beim Lesen | 6-2013
>> zurück zur StartseiteBei einem 14-jährigen ansonsten gesunden und altersgerecht entwickelten Jungen zeigen sich im EEG wiederholte generalisierte 3 Hz Spike-Waves für die Dauer von jeweils 3 bis 4 Sekunden. Es sollte geklärt werden, ob es sich hierbei um interiktale Aktivität ohne klinisches Korrelat oder um iktale Entladungen mit klinischen Auffälligkeiten i. S. von Absencen handelt. Rein auf der Basis der ananmestischen Angaben des Patienten selbst und seiner Eltern ließ nicht erschließen, ob es zu paroxysmalen kurzen Abwesenheiten kommt. Die Frage ist von hoher klinischer Relevanz, da im Falle von Absencen eine Indikation für eine antiepileptische Behandlung, im Falle von rein interiktaler Aktivität eine solche jedoch nicht besteht.
Während einer 24-h Video-EEG-Langzeituntersuchung traten die oben beschriebenen EEG-Muster etwa 1-2 mal pro Stunde auf. Diese waren nicht mit einer erkennbaren Änderung des Verhaltens assoziiert. Auch die Aufforderung, während dieser EEG-Veränderungen auf einen angebotenen Ton mit dem Drücken eines Knopfes zu reagieren, befolgte der junge Patient adäquat. Wir führten daraufhin eine Leseprobe durch. Der Patient las laut aus einem Jugendroman vor. Beim erneuten Auftreten der 3 Hz Spike-Waves kam er dann während des Lesens in Stocken, er konnte nicht weiterlesen. Auch nach Ende der EEG-Entladungen konnte er nicht die Zeile auf der Buchseite wiederfinden, bei der er aufgehört hatte zu lesen.
Somit konnte die Leseprobe nachweisen, dass die generalisierten EEG-Entladungen ein klinisches Korrelat in Form einer leichten Bewusstseinsstörung haben. Wir stellten daraufhin die Diagnose einer Absencen-Epilepsie und begannen eine antiepileptische Behandlung mit Ethosuximid. In einer paar Wochen wiederholen wir die Leseprobe unter EEG-Ableitung, um den Erfolg der Therapie einschätzen zu können.