Fall des Monats
Anfallsfrei mit Perampanel | 1-2016
>> zurück zur StartseiteEine 23-jährige Patientin mit mittelschwerer Lernbehinderung leidet seit der Kindheit an einer fokalen Epilepsie mit automotorischen (= komplex-fokalen) und sekundär generalisierten tonisch-klonischen Anfällen. Bisher war sie mit neun verschiedenen Antiepileptika in jeweils ausreichend hoher Dosis behandelt, ohne anfallsfrei zu sein; es besteht also Pharmakoresistenz. Ein hochauflösendes MRT des Gehirns konnte keinen richtungsweisenden läsionellen Befund zeigen. Im prächirurgischen Monitoring mit Oberflächen-Elektroden konnte ein rechtshemisphärieller Anfallsbeginn gezeigt werden, die epileptogene Zone, die reseziert werden sollte, ließ sich so jedoch nicht definieren. Mit der Patientin und ihrer Familie wurde besprochen, dass der nächste diagnostische Schritt eine invasive EEG-Aufzeichnung mit subdural liegenden Plattenelektroden ist. Wie bei vielen Patienten konnte sich die Familie auch in diesem Fall zunächst nicht für diese Untersuchung entscheiden. Da 4-5 mal monatlich automotorische Anfälle auftraten, setzten wir dann die Substanz Perampanel ein. Unter einer Dosis von 8 mg täglich treten seitdem keine epileptischen Anfälle mehr auf. Die Patientin stellt sich einmal im Quartal in unserer Epilepsie-Ambulanz in der Charité vor, sie ist unter der Kombinationstherapie mit Perampanel nun seit 3 Jahren frei von epileptischen Anfällen.
In randomisiert Placebo-kontrollierten Studien, deren positives Ergebnis die Voraussetzung für die Zulassung eines Antiepileptikums zur Zusatztherapie ist, werden in der Regel höchstens 4-8 % der Patienten anfallsfrei, wobei die Studiendauer meist nur 3 Monate dauert. Der eigentliche primäre Endpunkt dieser Studien ist die Responderrate, d.h. der Anteil der Patienten, die unter dem Antiepileptikum im Vergleich zu den Wochen vor Einsatz des Studienmedikaments eine Reduktion der Anfallsfrequenz von mehr als 50 % aufweisen. Diese Responderrate liegt üblicherweise bei 30-40 % der Patienten. Wenn sich die Responderrate signifikant vor der der Placebo-Gruppe unterscheidet, kann eine Zulassung des Antiepileptikums bei der European Medicine Agency in London erfolgen. So ist es auch bei der hier eingesetzten Substanz Peramapanel gewesen.
In Deutschland gibt es seit 2011 das Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz (AMNOG). Um eine adäquate Kostenerstattung von neuen Medikamenten zu erzielen, müssen die pharmazeutischen Unternehmen jenseits der o.g. Zulassungsstudien einen Zusatznutzen der neuen Substanzen nachweisen. Hier wird im Rahmen des AMNOG verlangt, dass ein neues Antiepileptikum in der Zusatztherapie nicht gegen Placebo, sondern gegen ein anderes Antiepileptikum getestet wird. Dies ist jedoch in den großen internationalen Zulassungsstudien nicht üblich, da die meisten potenziellen Studienteilnehmer die „alte“ Vergleichssubstanz bereits im Laufe ihrer Erkrankung eingenommen haben und somit nicht mehr in die Studie eingeschlossen werden können. Somit wurde in Deutschland Perampanel der Zusatznutzen nicht zugesprochen. Das pharmazeutische Unternehmen, welches Perampanel vertreibt, hat dieses Antiepileptikum zunächst 2 Jahre allen Patienten in Deutschland umsonst zur Verfügung gestellt. Jetzt wird dieses Antiepileptikum im Frühjahr 2016 vom Markt genommen.
Wie erklärt man der oben beschriebenen Patientin, die mit Perampanel seit 3 Jahren anfallsfrei ist und bei der deswegen kein epilepsiechirurgischer Eingriff durchgeführt werden musste, dass die Substanz keinen Zusatznutzen haben soll? In ihrem Fall ist dies nicht vermittelbar. Wir werden uns nun an die Krankenkasse dieser Patientin und an die anderer erfolgreich mit Perampanel behandelter Patienten wenden und bitten, dass die Kosten bei Bezug über internationale Apotheken dennoch übernommen werden. Die lernbehinderte Patientin wird die Kosten alleine nicht tragen können.