Fall des Monats
Richtige Diagnose durch Absetzen der Antiepileptika | 3-2016
>> zurück zur StartseiteEin heute 22-jähriger Patient erlitt im Alter von 11 Jahren einen ersten und bis jetzt einmaligen tonisch-klonisch generalisierten epileptischen Anfall. Die initialen EEGs zeigten widersprüchliche Befunde, mitunter wurden irreguläre bilaterale Spike-waves oder aber auch Normalbefunde beschrieben. Ein MRT des Gehirns war unauffällig. Der Patient wurde nach jenem Anfall mit Valproat behandelt, mit zunehmendem Alter wurde die Dosis sukzessive auf 2.000 mg/Tag gesteigert.
Mit Erreichen des 18. Lebensjahrs stellte sich der Patient in unserer Epilepsie-Ambulanz für Erwachsene vor. Da er nun seit 7 Jahren anfallsfrei war und nur ein Anfall bei damals nicht eindeutigem EEG-Befund aufgetreten war, reduzierten wir schrittweise das Valproat und setzten es – bei erneut unauffälligem EEG – im Verlauf eines Jahres ab.
Der Patient berichtete dann im Verlauf, dass es neuerdings zu Zuckungen in beiden Beinen komme, die zu Stürzen führten. Auf Nachfrage erzählte er, dass diese Zuckungen auch die Arme betreffen würden. Die Zuckungen treten grundsätzlich nur in den frühen Morgenstunden in der ersten Stunde nach dem Erwachen auf, eine weitere Voraussetzung sei ein relativ verkürzter Nachtschlaf auf weniger als 6 h. Er nehme auf eigene Entscheidung hin an Abenden, an denen er eine reduzierte Schlafdauer voraussehen könne, 500 mg Valproat, so könne er die morgendlichen Zuckungen komplett verhindern.
Dieser junge Patient leidet an einer juvenilen myoklonischen Epilepsie, die Myoklonien waren jahrelang durch das Valproat unterdrückt und traten erst nach Absetzen auf. So konnte die korrekte Diagnose erst nach Absetzen des Antiepileptikums gestellt werden.
Therapeutisch haben wir in diesem Fall einen eher pragmatischen Weg eingeschlagen. Da die situationsbezogene Einnahme von Valproat – bei voraussehbarem Schlafmangel – die Myoklonien verhindern konnte, empfahlen wir dem Patienten, dieses Vorgehen fortzusetzen. Wir rieten ihm zudem, Schlafmangel möglichst vermeiden. Zudem solle er Alkohol nur in Maßen konsumieren, da auch ein erhöhter Alkoholkonsum einen Anfallstrigger bei juveniler myoklonischer Epilepsie darstellt.