Fall des Monats
35-Jähriger mit anfallsartiger Arm-Lähmung | 10-2015
>> zurück zur StartseiteEin 35-jähriger Mann leidet seit 8 Jahren an wiederholt auftretenden stereotypen Episoden, bei denen es zunächst zu Doppelbildern und dann nach 2-3 min. zu einer Lähmung der Gesichtsmuskulatur und des Armes jeweils rechts komme. Diese motorische Schwäche hält etwa 20-30 min. an, um sich dann wieder langsam zurückzubilden. Während dieser Episoden spricht der Patient sehr undeutlich; dies ist wahrscheinlich Folge der Lähmung der Gesichtsmuskulatur. Das Bewusstsein ist währenddessen erhalten. Die Ehefrau des Patienten hat eine dieser Episoden gefilmt, der Befund stellt sich eindeutig dar. Die anfallsartigen Lähmungen sind nicht von Kopfschmerzen begleitet. Die Frequenz der Ereignisse beträgt etwa 2-3 pro Jahr. Cerebrales MRT und EEG waren unauffällig.
Ein Bruder sowie die Mutter des Patienten leiden an einer Migräne mit visueller Aura; motorische Defizite sind bei ihnen bisher noch nicht aufgetreten.
Auswärts wurde initial die Diagnose transienter ischämischer Attacken, also vorübergehender Durchblutungsstörungen des Gehirns, gestellt; es wurde eine Sekundärprophylaxe mit dem Thrombozytenfunktionshemmer Aspirin begonnen. In einem weiteren Krankenhaus wurden die anfallsartigen Lähmungen dann einfach-fokalen epileptischen Anfällen zugeordnet. Die – vermeintliche – Epilepsie wurde mit Levetiracetam behandelt, dennoch traten die Episoden weiterhin auf.
Bei Erstvorstellung in unserer Epilepsie-Sprechstunde in der Charité gingen wir die Phänomenologie der Ereignisse mit dem Patienten und der Ehefrau noch mal in Ruhe durch. Gegen transiente ischämische Attacken spricht die jeweils langsam sich entwicklende Symptomatik, diese sollte bei einer Durchblutungsstörung plötzlich auftreten. Gegen fokale epileptische Anfälle spricht vor allem die lange Dauer der Ereignisse, epileptische Anfälle dauern in der Regel nicht länger als 2 min.
Nach Ausschluss von diesen beiden Differenzialdiagnosen gehen wir von einer sporadischen hemiplegischen Migräne aus, diese ist wegen der fehlenden Kopfschmerzen als atypisch einzuschätzen. Unter dieser Diagnose haben wir dann sowohl das Aspirin als auch das Levetiracetam abgesetzt.
Sekundärprophylaxe der Wahl bei rezidivierenden Attacken einer hemiplegischen Migräne ist Lamotrigin, dieses haben wir zunächst auf 150 mg täglich aufdosiert.