Fall des Monats
Drei Grand mal nach Schlafentzug | 11-2016
>> zurück zur StartseiteEin 42-jähriger Patient berichtet, dass es im 22., im 30. und zuletzt im 36. Lebensjahr jeweils innerhalb von 60 min. nach dem Erwachen zu einem tonisch-klonisch generalisierten Anfall ohne fokale Einleitung gekommen war. Allen drei Anfällen ging ein sehr kurzer Nachtschlaf mit relevant erhöhtem Alkoholkonsum voraus. In mehreren interiktalen EEGs zeigten sich generalisierte 3/s Spike-wave-Komplexe mit frontalem Amplitudenmaximum. Bei dem Patienten besteht daher unstrittig eine idiopathisch generalisierte Epilepsie, das Subsyndrom ist eine Epilepsie mit Aufwach-Grand Mal. Der Patient ist seit dem ersten Anfall unter Berücksichtigung der spezifischen EEG-Veränderungen mit 900 mg Valproat täglich behandelt. Nach nunmehr 6 Jahren Anfallsfreiheit fragt der Patient nach Absetzen des Antiepileptikums. Da alle drei bisherigen Anfälle durch Schlafentzug und Alkoholkonsum ausgelöst (nicht: verursacht!) worden waren, gehen wir auch nach Absetzen von Valproat von einem geringen Rezidivrisiko aus, wenn die bekannten Triggerfaktoren vermieden werden können. Der Patient selbst schlug vor, dass er – bei erwartbarem Schlafentzug einhergehend mit erhöhtem Alkoholkonsum – für 2 bis 3 Tage vorab 900 mg Valproat einnimmt. Da wir insgesamt von einem eher geringen Rezidivrisiko ausgehen, hatten wir gegen diesen pragmatischen Vorschlag zumindest keine relevanten Einwände.
Wir haben den Patienten darüber aufgeklärt, dass er für 3 Monate nach der letzten Einnahme von Valproat nicht selbständig ein Kraftfahrzeug führen darf. Auch nach Ablauf dieser First darf er an Tagen nach Schlafentzug und/oder vermehrtem Alkoholkonsum – wegen der bei ihm sehr ausgeprägten Suszeptibilität – kein Auto fahren.
Dieser Fall zeigt, dass sich bei manchen Patienten mit idiopathisch generalisierter Epilepsie Anfälle ausschließlich im Rahmen der bekannten Auslösefaktoren manifestieren. Es handelt sich hierbei klassifikatorisch dennoch um unprovozierte (im Gegensatz zu akut-symptomatischen) Anfälle. Um Unklarheiten zu vermeiden, sollte man daher hinsichtlich der Umstände der Anfallsentstehung den Terminus „provoziert“ vermeiden und alternativ von „ausgelöst“ oder „getriggert“ sprechen.