Fall des Monats
Epileptischer oder dissoziativer Anfall? | 7-2016
>> zurück zur StartseiteEin 35-jähriger Patient leidet seit mehr als 10 Jahren unter Episoden, bei denen er nach eigenen Angaben ein aufsteigendes Angstgefühl verspüre, er vollzieht dann Handlungen, bei denen er sich beispielsweise die Hände vor sein Gesicht hält oder bei denen er mit seinem linken Arm wild um sich schlägt. Während dieser Episoden ist er wach und orientiert, er kann Fragen beantworten. Die Dauer beträgt in der Regel ca. 5 min. Zusätzlich zu diesen paroxysmalen Angstgefühlen besteht eine chronische generalisierte Angststörung. Bisher ließen sich diese Episoden nicht sicher epileptischen bzw. dissoziativen Anfällen zuordnen. Da die Frequenz etwa 2 pro Monat beträgt, konnten diese Episoden auch nie in Video-EEG-Langzeit-Untersuchungen erfasst werden. Auf Grund der generalisierten Angststörung war der Patient bisher mit Pregabalin behandelt.
Die stationäre Aufnahme in die Abteilung für Epileptologie erfolgte mit dem Ziel einer diagnostischen Zuordnung dieser Ereignisse. Wenige Tage nach Aufnahme entwickelte sich bei dem Patienten dann erneut das ihm bekannte aufsteigende Angstgefühl. Er bat einen der Pfleger, ihn in sein Zimmer zu begleiten. Dort angekommen, war der Patient zunächst sehr unruhig, er äußerte sich gegenüber dem Pfleger besorgt, er griff mehrfach zur Wasserflasche, er drehte sich umher und ruderte mit beiden Armen in der Luft. Währenddessen konnte er adäquat die Fragen des Pflegers beantworten. Diese Verhaltensänderungen deuten zunächst eher auf einen dissoziativen Anfall. Aber etwa 5 min nach Beginn dieser Episode entwickelte der Patient eine tonische Versteifung aller Extremitäten, die dann in bilaterale Kloni übergingen.
Aufgrund dieses eindeutigen Grand Mal am Ende der Episode konnte diese erstmals sicher einem epileptischen Anfall zugeordnet werden. Bei dem initialen Angstgefühl handelt es sich also um eine Angstaura, die einen mehrminütigen Verlauf nimmt und dann zum ersten Mal in einem Grand Mal mündete. Unklar bleibt, ob die Bewegungsmuster während der Aura Teil der iktalen Anfallssemiologie sind oder eher unbewusste Reaktionen auf die epileptische Angstsymptomatik darstellen.
Nachdem die Diagnose einer – bei unauffälligem cMRT- kryptogenen fokalen Epilepsie gestellt werden konnte, begannen wir eine antiepileptische Therapie mit Lamotrigin.