Fall des Monats
Erwachen mit Absetzen von Antiepileptika | 1-2014
>> zurück zur StartseiteEine 39-jährige Patientin mit seit der Kindheit bekannter Epilepsie wird wegen einer seit Wochen bestehenden starken Müdigkeit, Desorientierheit und eingeschränkter Sprachproduktion im Epilepsie-Zentrum Berlin-Brandenburg aufgenommen. Bei der Patientin besteht eine Lernbehinderung, sie wohnt in einer betreuten Wohngemeinschaft. Die Patientin leidet an einer fokalen Epilepsie, alle 2-3 Monate tritt ein automotorischer (= komplex fokaler) epileptischer Anfall mit Bewusstseinsstörung und oralen Automatismen auf. Die Ursache der Epilepsie ist unklar, ein cerebrales MRT aus dem Jahr 2011 war unauffällig.
Die Patientin hat in den vergangenen Wochen wohl überwiegend geschlafen, sie konnte kaum noch laufen und wurde auf einer Trage liegend bei uns aufgenommen. Die antiepileptische Medikation bestand aus fünf verschiedenen Substanzen: Primidon, Carbamazepin, Zonisamid, Clobazam und Valproinsäure. Die Serumkonzentration von Valproinsäure war bei Aufnahme mit 130 mg/l deutlich erhöht (empfohlener Richtwert: 40 – 100 mg/l).
Das Ziel unserer Behandlung bestand darin, nebenwirkungsreiche Antiepileptika abzusetzen, ohne dass es zu einer – auch kurzfristig erkennbaren – Anfallszunahme kommt. Schritt für Schritt wurden die Substanzen Zonisamid, Clobazam und Valproinsäure reduziert und letztlich abgesetzt. Da die Patientin Primidon schon seit über 30 Jahren einnimmt, wollten wir wegen des starken Gewöhnungseffekts diese – auch potenziell zur Müdigkeit führende – Substanz nicht absetzen.
Während des vierwöchigen stationären Aufenthalts klarte die Patientin zunehmend auf, mit Hilfe der Physiotherapie konnte sie wieder selbstständig gehen, sie sprach wieder spontan. Es kam nicht zu vermehrten epileptischen Anfällen.
Das Beispiel dieser Patientin zeigt sehr eindrücklich, dass eine regelmäßige Überprüfung der Antiepileptika durch epileptologisch geschulte Fachleute dringend notwendig ist. Alle Beschwerden der Patientin – Müdigkeit sowie Unfähigkeit zu gehen und zu sprechen – waren auf die Überdosierung mit fünf Antiepileptika zurückzuführen. In der Regel ist auch bei schwer behandelbaren Epilepsien die Gabe von zwei Antiepileptika ausreichend. Schon die dritte Substanz hat oft keinen zusätzlichen Nutzen, erhöht jedoch das Risiko für Unverträglichkeiten deutlich.