Krankheitsbild
Epilepsien sind häufige Erkrankungen, an denen in Westeuropa etwa 0,7% der Bevölkerung erkrankt sind; das sind in Deutschland etwa 700.000 Menschen. Einen einzelnen epileptischen Anfall dagegen, der durch unterschiedliche Faktoren ausgelöst werden kann und nicht zwangsläufig die Diagnose einer Epilepsie rechtfertigt, erleiden dagegen etwa 5 – 10% aller Menschen einmal in ihrem Leben. Die Häufigkeit einer Epilepsie ist bei Frauen und Männern in etwa gleich. Die Wahrscheinlichkeit, an einer Epilepsie zu erkranken, ist in den ersten Lebensjahren und im Alter ab etwa 65 höher als im mittleren Lebensalter.
Bei Menschen mit Störungen der Intelligenzentwicklung und/oder einer schweren Mehrfachbehinderung ist die Häufigkeit deutlich erhöht. Etwa 20% aus dieser Personengruppe sind zusätzlich an einer Epilepsie erkrankt. Grund dafür sind in der Regel die hirnorganischen Veränderungen, die in der Regel der Störung der Intelligenzentwicklung beziehungsweise Mehrfachbehinderung zugrunde liegen und zusätzlich eine Epilepsie zur Folge haben.
Epileptische Anfälle und Epilepsien
Im Laufe der letzten Jahrzehnte hat es mehrere Ansätze gegeben, epileptische Anfälle und Epilepsien zu klassifizieren. Die weltweit am meisten akzeptierte Klassifikation ist die der Internationalen Liga gegen Epilepsie. Nach dieser werden epileptische Anfälle im Wesentlichen in zwei Gruppen eingeteilt, in fokale und in generalisierte Anfälle. Fokale Anfälle beginnen immer in einer umschriebenen Region des Gehirns (einem Fokus), während generalisierte Anfälle zeitgleich in beiden Hirnhälften (Hemisphären) beginnen.
Es gibt fokale Anfälle mit erhaltenem Bewusstsein und fokale Anfälle, bei denen das Bewusstsein nicht erhalten ist. Merken nur die Patienten beziehungsweise Patientinnen – und nicht die Umwelt – Veränderungen der Wahrnehmung (Hören, Riechen, Schmecken, Sehen, unerwartete Bekanntheit oder Fremdheit der Situation), des psychischen Empfindens (Angst) oder der vegetativen Funktionen (Hitze- oder Kältegefühl, Gänsehaut etc.), werden einfach-fokale Anfälle auch Aura genannt. Darüber hinaus können fokale Anfälle in Form von Sprachstörungen oder motorischen Zeichen auftreten, die von der Umwelt wahrgenommen werden können.
Jeder fokale Anfall kann sich unter Ausbreitung der Anfallsaktivität über andere Regionen der Hirnrinde zu einem generalisierten tonisch-klonischen Anfall entwickeln. Dieser gleicht in seinem späteren Verlauf dem (primär) generalisierten tonisch-klonischen Anfall, dieser hat aber seinen Beginn zeitgleich in beiden Hirnhemisphären. Weitere generalisierte Anfallsformen sind Absencen, das sind kurze, in der Regel wenige Sekunden dauernde Abwesenheiten, und Myklonien, das heißt kurze ruckartig einschießende Bewegungen – häufig der Arme oder Beine.
Epilepsien werden nach der Einteilung der Internationalen Liga gegen Epilepsie ebenfalls in eine fokale und generalisierte Epilepsien unterschieden. Fokale Anfälle sind das Symptom einer fokalen Epilepsie und generalisierte Anfälle sind Ausdruck einer generalisierten Epilepsie. Fokale Epilepsien sind häufig (aber nicht immer) auf eine strukturelle Veränderung im Gehirn zurückzuführen, während generalisierte Epilepsien häufig (aber nicht immer) eine genetische Ursache haben.
Ursachen
Die Verteilung der Ursachen einer Epilepsie hängt von dem Lebensalter ab, in dem die Erkrankung beginnt. Genetisch generalisierte Epilepsien beginnen in der Regel bis zum 20. Lebensjahr. Bei diesen Epilepsien wird als Ursache eine genetische Störung angenommen, die in den meisten Fällen jedoch noch nicht nachgewiesen werden kann. Entweder handelt es sich dabei um größere Veränderungen auf einem bestimmten Gen (monogenetisch), sehr viel häufiger jedoch um kleinere Veränderungen auf vielen Genen. Eindeutig genetisch bedingte Epilepsien, wie zum Beispiel die autosomal dominante nächtliche Frontallappen-Epilepsie oder das Dravet-Syndrom, sind eher selten.
Ein zweite große Ursachengruppe sind angeborene und häufig mit Hilfe der Bildgebung nachweisbare Hirnfehlbildungen. Diese sind wahrscheinlich während der embryonalen Entwicklung entstanden und umfassen das Spektrum der Fehlbildungen der corticalen Entwicklung, vaskuläre Veränderungen und Hippocampus-Sklerosen bzw. Vorläuferstadien dieser Veränderung.
Je älter die Patienten und Patientinnen bei Beginn der Epilepsie sind, desto wahrscheinlicher sind im Laufe des Lebens erworbene Hirnveränderungen als ursächlich zu sehen. Im Vordergrund stehen hier gefäßbedingte Läsionen (größere und kleinere Schlaganfälle), Schädel-Hirn-Traumata, Hirntumore, Hirn- und Hirnhaut-Infektionen und neurodegenerative Störungen wie die Alzheimer-Erkrankung. Epilepsien, die auf angeborene und erworbene Hirnläsionen zurückzuführen sind, werden als strukturelle Epilepsien bezeichnet.
Im mittleren Lebensalter, also zwischen dem 20. und 50. Lebensjahr, wird trotz ausführlicher Diagnostik häufig keine Ursache für die Epilepsie gefunden; diese Epilepsien werden dann als kryptoge Epilepsien bezeichnet. Es ist wichtig zu wissen, dass auch strukturelle und kryptogene Epilepsien einen genetischen Hintergrund haben und die Genetik somit teilursächlich ist; bei Familienangehörigen findet sich häufiger eine Epilepsie, als dies statistisch zu erwarten wäre.
Prognose
Epilepsien sind in der Regel keine Erkrankungen, die sich im Laufe der Jahre verschlimmern. Wenn die Epilepsie jedoch Folge einer neurologischen Grunderkrankung ist und sich diese verschlechtert, können durchaus auch die Anfälle häufiger werden.
Bei den genetisch generalisierten Epilepsien ist aus Langzeit-Studien bekannt, das eine langjährige Anfallsfreiheit – auch ohne Einnahme von Medikamenten gegen die Anfälle – über die Jahrzehnte der Erkrankung immer wahrscheinlicher wird. Generell treten unter der regelmäßigen Einnahme meist eines Anfallssuppressivums bei etwa zwei Dritteln der Patienten und Patientinnen keine epileptischen Anfälle mehr auf. Bei dem verbleibenden Drittel besteht jedoch eine weitgehende Pharmakoresistenz, das heißt, es treten trotz der Einnahme von mindestens zwei Anfallssuppressiva weiterhin epileptische Anfälle auf. Für diese Patientinnen und Patienten stehen unter Umständen weitere Therapiemöglichkeiten zur Verfügung, zum Beispiel die operative Epilepsietherapie, Verfahren der Neurostimulation oder die ketogene Ernährungstherapie.
Viele Patienten und Patietinnen und deren Angehörigen bewegt die Sorge, ob durch einen oder mehrere epileptische Anfälle Nervenzellen zugrunde gehen können und ob dadurch zum Beispiel die Konzentrations- oder Merkfähigkeit vermindert sein kann. Dafür gibt es jedoch nach derzeitigem Wissensstand keine Hinweise. Nach einem Status epilepticus, also einem lang anhaltenden epileptischen Anfall, der medikamentös unterbrochen werden muss, sind in Einzelfällen Nervenzellverluste beschrieben. Allerdings ist hier nicht immer ganz klar, ob diese Veränderungen Folge des Status epilepticus oder der den Status epilepticus verursachenden Gehirnerkrankung sind. Bei Patienten und Patientinnen mit einzelnen oder auch wiederholt und häufig auftretenden epileptischen Anfällen konnten MRT-Untersuchungen des Gehirns über einen Zeitraum von 3-4 Jahren keine voranschreitenden Veränderungen aufzeigen, die nicht auch bei altersgleichen Kontrollpersonen ohne Epilepsie zu finden waren.
Zusammengefasst gibt es bis heute keine Hinweise darauf, dass bei epileptischen Anfällen in relevantem Maße Nervenzellen untergehen und dass es somit zu Einbußen von Hirnleistungen kommt. Untersuchungen zur Sterblichkeit bei Epilepsien haben gezeigt, dass die erhöhte Sterblichkeit in der Regel auf die der Epilepsie zugrunde liegende Gehirnerkrankung und nicht auf die Epilepsie selbst zurückzuführen ist.

